Intensivmedizin: Pflege von Hochrisikopopulationen (2023)

Intensivmedizin: Pflege von Hochrisikopopulationen (1)Intensivmedizin: Pflege von Hochrisikopopulationen (2)

In vielen Krankenhäusern sind heute Intensivbetten belegt, weil nicht genügend Pflegepersonal vorhanden ist. Nun deutet eine Umfrage unter Intensivpflegekräften darauf hin, dass sich die Situation in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird. Um den Status der Intensivpflege aufrechtzuerhalten, müssen grundlegende Änderungen vorgenommen werden.

Intensivmedizin: Pflege von Hochrisikopopulationen (3)

Foto: Mauritius Bilder

Es besteht ein zunehmender Mangel an Intensivpflegepersonal. In Spitzenzeiten wie der Grippeepidemie 2017/2018 war die Notfallversorgung für Menschenansammlungen bereits begrenzt. Allerdings ist es vielen Intensivstationen aufgrund von Personalmangel oft nicht möglich, den Normalbetrieb aufrechtzuerhalten, sodass viele Intensivbetten geschlossen werden müssen. Eine im Jahr 2018 durchgeführte Umfrage ergab, dass auf jeder Intensivstation der teilnehmenden Krankenhäuser mindestens ein oder zwei Betten geschlossen waren (1,2). Insgesamt 82 % aller befragten Intensivmediziner gaben an, dass dies Auswirkungen auf die Notfallversorgung hat.

Die letztjährige Befragung ergab zudem, dass es zwischen den Krankenhäusern zum Teil große Unterschiede beim Pflegepersonal gab. Und einige Intensivstationen haben gemäß den Anforderungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) eine Krankenschwester eingesetzt, die für zwei Patientenschlüssel verantwortlich ist (3) und einige Standardpflegeverhältnisse von 1:4, insbesondere nachts.

Mangelndes Pflegepersonal auf Intensivstationen führt zu einer allmählichen Überlastung des Pflegepersonals. Die Folge ist eine erhöhte Arbeitsunzufriedenheit und ein erhöhtes Burnout- oder Fluktuationsrisiko (4). Internationale Studien zeigen zudem, dass unzureichendes Pflegepersonal auch in angepassten Modellen zu einem deutlichen Anstieg der Patientensterblichkeit führt (59).

In diesem Zusammenhang wurden kürzlich vom Niedersächsischen Pflegeverband veröffentlichte Daten zur Altersstruktur des Pflegepersonals (10).Die demografische Entwicklung lässt Befürchtungen aufkommen, dass sich die deutschen Krankenhäuser drastisch verändern werden, da sich die Babyboomer allmählich aus dem Berufsleben zurückziehen. So zeigen Zahlen der niedersächsischen Pflegekammer, dass heute nur noch 5,9 Prozent der Pflegekräfte zwischen 19 und 25 Jahre alt sind, während 8,4 Prozent zwischen 26 und 30 Jahre alt sind. Mittlerweile waren 16,9 Prozent zwischen 51 und 55 Jahre alt, und 14,3 Prozent waren zwischen 56 und 60 Jahre alt.

Seit Längerem versucht die Politik, eine Lösung für das drängende Problem des Pflegekräftemangels zu finden. Um auf Basis valider Daten Wege aus der Krise zu diskutieren, haben die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin, Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) und die Marburger Union eine Online-Umfrage unter Intensivpflegekräften gestartet. Ziel der Umfrage war es herauszufinden, wie viele Intensivpflegekräfte ihren Beruf aufgeben möchten, was die Hauptgründe für ihre Unzufriedenheit mit ihrem Beruf sind und welche Möglichkeiten die Befragten für einen Ausweg aus der Krise finden. Zwischen dem 14. und 21. Januar 2019 nahmen insgesamt 2.498 Intensivpflegekräfte an der Umfrage teil.

(Video) Hydrocortison bei schwerer ambulant erworbener Pneumonie

68 % der teilnehmenden Intensivpflegekräfte waren Frauen mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren. 53 % der Teilnehmer verfügten über mehr als zehn Jahre Berufserfahrung und 54 % der Teilnehmer hatten eine Fachausbildung in Anästhesie und Intensivpflege abgeschlossen. 26 % der Teilnehmer hatten einen Teilzeitjob mit weniger als 80 % und weitere 16 % hatten einen Teilzeitjob von 450 €. Von allen Teilnehmern waren 27 Prozent bei Universitätskliniken, 21 Prozent bei kommunalen Krankenhäusern, 24 Prozent bei Kirchen und 12 Prozent bei privaten Anbietern beschäftigt.

Auf die Frage nach ihrer allgemeinen Unzufriedenheit mit ihrem Job antworteten 68 Prozent mit „Ja“. 97 % der Befragten glauben, dass sich die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren verschlechtert haben. 94 % gaben an, dass die wirtschaftlichen Vorteile der Versorgung am wichtigsten seien (Siehe GAbbildung 1). Der Umfrage zufolge planen 37 % der befragten Intensivpflegekräfte, den Beruf innerhalb der nächsten fünf Jahre aufzugeben. Darüber hinaus gehen 34 % davon aus, in den nächsten zwei Jahren weniger Stunden zu arbeiten (Siehe Abbildung 2).

(Video) Intensivbeatmung I Workshop

Figur 2

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Auf die Frage nach dem Hauptgrund für die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen nannten die Teilnehmer eine hohe Arbeitsbelastung (durchschnittlich 4,4 Punkte).siehe Größeafic 3a und 3b). Intensivpflegekräfte haben eine klare Meinung darüber, wie die Arbeitsbedingungen verbessert werden können. Im Durchschnitt sorgten sie für eine bessere Personalausstattung, wobei ein festes Verhältnis von einer Krankenschwester zu zwei Patienten verwendet wurde, 4,8 Punkte (Siehe GFigur 4). Am wenigsten Wert legen sie auf die Akademisierung (2,6 Punkte).

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(Video) Die Verwendung von nasalem High Flow Sauerstoff

Figur 4

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Die Ergebnisse deuten auf eine bemerkenswerte Entwicklung der Intensivmedizin in Deutschland hin – eine Entwicklung, die die gesamte Krankenhausstruktur in Deutschland in den kommenden Jahren nachhaltig verändern wird. Denn neben der medizinischen Versorgung ist die Intensivmedizin auch für die Qualität der intensivmedizinischen Versorgung verantwortlich. Zur Intensivpflege gehören die Durchführung komplexer Eingriffe, die lebenswichtige Stabilisierung der Organfunktion sowie die Betreuung von Patienten und deren Angehörigen. Ihre Bedeutung kann in einer alternden Gesellschaft und immer komplexer werdenden klinischen Situationen nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Der zunehmende Mangel an intensivmedizinischem Personal droht mit weiteren Schließungen von Intensivbetten, was nicht nur einen unstrukturierten Verlust intensivmedizinischer Leistungen bedeutet, die die Bevölkerung dringend benötigt, sondern auch eine Gefahr für die Krankenhausfinanzierung darstellt. Denn diese sind im Wesentlichen an die Einnahmen der Intensivmedizin gekoppelt. Das tatsächliche Ausmaß des Problems lässt sich anhand der hier präsentierten Daten nur erahnen. Es scheint jedoch klar, dass „Business as Usual“ und die absehbaren weiteren Fluktuationen im Pflegepersonal die Intensivmedizin in den kommenden Jahren stark einschränken werden.

Die von Intensivpflegekräften genannten Gründe für die schlechten Arbeitsbedingungen liegen auf der Hand. Dazu gehören eine hohe Arbeitsbelastung, ein geringes Maß an Respekt (insbesondere gegenüber Krankenhausbetreibern), niedrige Pflege- und Personalquoten sowie eine bescheidene Bezahlung. Zu den Lösungsansätzen gehörten laut Teilnehmern vor allem höhere Bezahlung und geringere Arbeitsbelastung, genauer gesagt ein verlässliches 1:2-Betreuungsverhältnis an allen Wochentagen und in allen Schichten.

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Ein zentrales Thema ist natürlich das nahezu ausschließlich erlösorientierte Abrechnungssystem in Deutschland. Das DRG-System führt dazu, dass die Quantität die Qualität der Dienstleistung dominiert. In den letzten Jahren wurden die Intensivkapazitäten immer weiter ausgebaut. In Europa verfügt Deutschland mit Abstand über die meisten Intensivbetten. Die Gründe dafür sind neue Behandlungsmethoden und wirtschaftliche Vorteile. Die anhaltende Verschärfung komplexer Pauschalen für Intensivpflegeleistungen hat zu einem Wettrüsten geführt. Bauen Sie Kapazitäten dort auf, wo die Renditen am höchsten zu sein scheinen. Allerdings wird weitgehend vergessen, die Qualität der Leistungssteigerungen zu überprüfen. Man vergisst auch, dass die Skalierungsfähigkeiten mit einem enormen Anstieg der Arbeitsbelastung einhergehen. Auf deutschen Intensivstationen betreut eine Pflegekraft derzeit mehr als 2,5 bis 3 Patienten, was nicht den internationalen Qualitätsstandards entspricht (58). Fast alle Intensivpflegekräfte beklagten, dass sie im Alltag keine Zeit für die eigentlichen Pflegetätigkeiten hätten.

Die Verankerung von Qualitätsstandards oder -metriken wurde in DRG-Systemen in der Intensivmedizin bislang ebenso wenig berücksichtigt wie die Minimalversorgung. Insbesondere die seit vielen Jahren bei privaten Krankenhausbetreibern vorherrschende „Geiz ist schön“-Mentalität hat dazu geführt, dass viele Intensivpflegekräfte diesen Beruf aufgeben oder ausüben wollen. Es sind sicherlich nicht nur finanzielle Anforderungen, die bei 68 % der Befragten zur Unzufriedenheit führen. Auch eine übertriebene und teilweise sinnlose Behandlung von Patienten mit a priori schlechter Prognose kann erheblich zur Desillusionierung hochmotivierter Fachpfleger beitragen. Insbesondere dies sollte Teil einer zentralen Diskussion in der künftigen Intensivpflegegesellschaft sein.

Ein weiterer Teil des Problems auf der Intensivstation sind Teilzeitquoten. Tatsächlich arbeiten, wie die Umfrage zeigt, nur 25,7 % des Pflegepersonals Teilzeit (weniger als 80 % der Vollzeitstellen). Allerdings planen 33,6 % eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit in den nächsten 24 Monaten. Dies wird die Situation weiter verschärfen, da mehr Arbeitsplätze unbesetzt bleiben und mehr Dienstleistungen verloren gehen.

Hohe Arbeitsbelastung und extrem niedrige Löhne führen unweigerlich dazu, dass sich die Menschen mehr Teilzeitjobs wünschen. Dies hat zu ausdrücklichen Forderungen seitens der Krankenhausbetreiber (aber vor allem des Gesundheitssystems als Ganzes) geführt, die Belastung der Intensivpflegekräfte durch eine Erhöhung des Personals und die Bereitstellung fester Pflegesätze, einschließlich fester und ausreichend langer Pausen, zu verringern. Serviceblock. Natürlich kann auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Einfluss auf die Entscheidung für eine Teilzeitbeschäftigung haben. Hier haben Krankenhausbetreiber noch viele kreative Lösungsmöglichkeiten.

Überraschenderweise legen Intensivpflegekräfte keinen großen Wert auf die Akademisierung der Pflege als Teil einer möglichen Lösung. Auch wenn es sinnvoll erscheint, Teile der Pflege zu akademisieren und zumindest einige Pflegekräfte länger im Beruf zu halten (11), was derzeit für die meisten Pflegekräfte eindeutig nicht die oberste Priorität hat. Ein Grund könnte sein, dass in der aktuellen Situation mehr Verantwortung dazu führt, dass die Belastung durch die gleichen niedrigen Löhne weiter steigt.

Prävention und Interventionen zur Förderung der Stressbewältigung und Resilienz wurden von der Befragung nicht erfasst. Allerdings wären sie, wie die französische Arbeitsgruppe kürzlich berichtete, äußerst wünschenswert (12).

Ein praktisch einfach umsetzbarer Aspekt ist die Steigerung der Wertschätzung des Pflegeberufs durch Krankenhausbetreiber. Dieser zentrale Punkt der Arbeitswelt wurde im Krankenhauswesen in den letzten Jahrzehnten weitgehend ignoriert. Die Umfrage zeigt eindrucksvoll die Bedeutung dieser Komponente. Deshalb sollten Krankenhausbesitzer, wie auch die gesamte Gesellschaft, mehr Aufmerksamkeit schenken. Aufgrund des eklatanten Mangels an positiver Darstellung der Leistungen von Intensivpflegekräften und Ärzten in der Öffentlichkeit. Im Vergleich zu anderen Aktivitäten werde die 24-Stunden-Erreichbarkeit, die so viel Verantwortung für das Leben der Menschen trägt, in unserer Gesellschaft kaum geschätzt, so die Autoren.

Mehr als ein Drittel der Intensivpflegekräfte erwägt einen Wechsel von der Intensivmedizin in andere Bereiche. Angesichts der demografischen Entwicklung sollten solche Willensbekundungen äußerst ernst genommen werden. Zahlen der Pflegekammer Niedersachsen zeigen, dass in den nächsten zehn Jahren für zwei ausscheidende Pflegekräfte nur noch eine Pflegekraft befördert wird. Dies wird unweigerlich zu gravierenden Engpässen führen, die die Notfallversorgung und das wirtschaftliche Überleben der Krankenhäuser gefährden.

Die Politik unternimmt derzeit erste Schritte in die richtige Richtung. Dazu gehören Untergrenzen für Rettungssanitäter, die seit Jahresbeginn unter anderem in der Intensivmedizin gelten. Dazu gehört auch, im Rahmen der „Aktion für alle Pflege“ mehr junge Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen oder ehemalige Pflegekräfte zur Rückkehr zu bewegen. Angesichts der Dramatik der Entwicklungen werden jedoch alle Maßnahmen nicht ausreichen. Sogar die Zahl geschlossener Krankenhäuser nimmt zu, wie von Wirtschaftsexperten vorgeschlagen (13), wird absehbare Entwicklungen nicht verhindern.

Einer der Schritte, die die Politik unternehmen muss, ist die Neugestaltung des DRG-Systems. Heutzutage herrscht in Krankenhäusern die Mentalität vor, dass die Behandlung volumenabhängig sein und eine höhere Bezahlung erfordern sollte. Das Ziel muss auch darin bestehen, die Vergütung auf Qualitätskriterien zu stützen – auch wenn dies in der Intensivmedizin immer noch der Fall ist.

(Video) medArt2022 Freitag 05 Fieber in Neutropenie - N Khanna

Darüber hinaus muss verhindert werden, dass Aktiengesellschaften vom solidarisch finanzierten Gesundheitssystem profitieren. Unter keinen Umständen sollten Gewinne mit der Unterstützung von Patienten und medizinischem Fachpersonal maximiert werden. Schließlich ist es die Aufgabe der Politik, in Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden der Bevölkerung zu vermitteln, dass es angesichts der demografischen Entwicklung auch in Zukunft nicht möglich sein wird, alle in der Vergangenheit etablierten Gesundheitsdienstleistungen aufrechtzuerhalten.

  • So zitieren Sie diesen Artikel:
    Dtsch Ärzteebl 2019; 116 (10): a 462–6

Adresse des Autors:
Professor für Ph.D. Medizin. Christian Karaginidis
Lungenklinik Köln-Merheim, Zentrum für ARDS und ECMO, Abteilung Beatmung,
Intensiv- und Beatmungsmedizin, Kliniken der Stadt Köln und der Universität Witten/Herdecke,
karagiandisc@kliniken-koeln.de

Online-Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit1019
oder per QR-Code.

Videos

1. Bundespressekonferenz vom 29.10.20 Mediziner zur aktuellen Situation auf den Intensivstationen
(Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN))
2. medArt2020: COVID19 – Alters- & Pflegeheime PD Dr. Klaus Bally
(unispitalbasel)
3. Update – Impfungen bei pneumologischen Infektionen
(Deutsche Gesellschaft für Pneumologie)
4. IMF Virtual Regional Community Workshop (RCW) - East South Central
(International Myeloma Foundation)
5. Session 2 - Prof. Rainer Kiefmann - Myth and Thruth in der Gerontoanästhesie
(Orthogeriatric Research Center Bern)
6. Virtuelle Corona-Sprechstunde
(Medizinische Hochschule Brandenburg )

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Author: Allyn Kozey

Last Updated: 10/10/2023

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